Auch in diesem Jahr beteiligten wir uns am alternativen Volkstrauertag. Das Gedenken an die Zwangsarbteiter*innen aus Hiltrup fand zum Teil online statt, so auch unsere Rede.
Diese könnt ihr bei MünsterTube ansehen, oder hier nachlesen:
Die Thematik Gesundheitsversorgung im Bereich Flucht und Asyl ist nicht erst seit der Covid-19 Pandemie zu wenig beachtet. Schon lange klagen geflüchtete Menschen über mangelnde Gesundheitsversorgung, besonders in zentralen Massenunterkünften, in Lagern. Auch in Münster steht eine solche „Unterkunft“. Die vom Land NRW betriebene Zentrale Unterbringungseinheit, kurz ZUE, am Albersloher Weg. Ein mit Stacheldraht eingezäuntes Kasernengelände.
Schon früh berichteten Bewohner*innen von langen Wartezeiten, wenn sie eine der wenigen medizinischen Sprechstunden in Anspruch nehmen wollten. Doch auch wenn sie eine der begehrten Plätze bekommen haben, sieht die Behandlung oft so aus, dass es rein darum geht, die Symptome zu lindern. Bei Zahnschmerzen werden z.B. einfach Schmerzmittel verschrieben, anstatt der Ursache auf den Grund zu gehen.
Und auch eine psychologische Begleitung von Geflüchteten, die von ihren Erlebnissen traumatisiert sind, wird zu meist nicht gewährleistet. Im Gegenteil: Die Situation in den Massenunterkünften sind für viele mehr als belastend.
Die Covid-19 Pandemie verschlimmerte die Situation. Die Maßnahmen bedeuteten in vielen Städten eine hermetische Abriegelung der Unterkünfte. Keine Person raus und keine Person rein. Gruppen- und Gemeinschaftsräume wurden gesperrt, Angebote gestrichen. Für viele hießt das nur warten. Warten ohne Ablenkung. Warten ohne Freiraum. Warten auf das Ungewisse.
Zeitgleich lief auf allen Kanälen zurecht die Forderung, dass die Abstandsregeln einhalten werden sollen. Aber wie willst du in einer in einem Mehrbettzimmer Abstandsregeln einhalten? Es wird gefordert Kontakte einzuschränken. Wie, wenn du in einer Massenunterkunft leben musst.
Großveranstaltungen meiden? Der reine Zynismus! In der ZUE ist jeden Tag Großveranstaltung, es handelt sich um eine staatlich erzwungene Menschenansammlung, obwohl es in den leerstehenden Hotels und Jugendherbergen genügend Platz gab.
Ein weiteres verehrendes Beispiel ist auf der griechischen Insel Lesbos beobachten. Schon seit Jahren leben dort Menschen in Zelten in komplett überfüllten Lagern ohne vernünftige gesundheitliche Versorgung. NGOs versuchen das nötigste Abzudecken. Jahrelang wurde die Evakuierung des Lagers Moria gefordert. Vergeblich.
Zu Beginn der Pandemie wurde unter dem Hashtag LeaveNoOneBehind ein weiterer Versuch unternommen den öffentlichen Blick auf die sowieso schon katastrophalen Zustände und der Gefahr einer massenhaften Infektion zu lenken.
Doch nichts geschah. Obwohl es viele Städte in Deutschland gibt, die sich bereit erklärt haben, Geflüchtete unabhängig der üblichen Verteilungsquote aufzunehmen geschah nichts. Stattdessen wurde auch dort gefordert sich an Hygienemaßnahmen zu halten. Aber wie sollten sich die Menschen die Hände waschen, mit zu wenig Seife für alle, einem Wasserhahn auf 1.300 Menschen und einer Wasserversorgung die teilweise nur ein paar Stunden am Tag in Betrieb waren? Dazu mussten viele Hilfsorganisationen ihre Arbeit aus Sicherheitsgründen eingestellt.
Es ist verwunderlich, dass sich die Menschen im Camp Moria zumindest offiziell eine lange Zeit nicht mit Corona angesteckt haben. Doch nach monatelangem Zusehen gab es die ersten Infizierten. Verständlicherweise hatten viele Menschen Angst sich anzustecken. Eng an eng wohnend, ohne ausreichende sanitäre und hygienische Infrastruktur.
Und dann brannte Moria. Ein großteil des Camps wurde in der Nacht auf den neunten September durch ein Feuer zerstört. Eine Vermutung ist, dass Menschen aus dem Camp das Feuer selbst gelegt haben, um eine Evakuierung zu erzwingen. Wenn es so sein sollte, kann ich es ihnen nicht verdenken.
Doch eine Evakuierung ist auch danach nicht wirklich geschehen. Die Menschen, die aus dem brennenden Lager flüchteten wurden schnell von der Polizei aufgehalten. Die Wege in die umliegenden Dörfer wurden abgeriegelt. Die Menschen mussten auf der offenen Straße ausharren, Hilfen, wie Trinkwasserlieferungen von zivilen Organisationen wurden unterbunden.
Und jetzt? Jetzt leben die meisten Menschen in einem neuen überfüllten Camp direkt an der Steinküste. Dem starken Wind und Regen im Herbst und Winter noch mehr ausgesetzt. Regelmäßig wird das Camp von den Wassermassen überflutet. Das selbstorganisierte und besser aufgestellte Camp Pikpa? Von der Polizei geräumt. Die Forderungen der in Lagern Lebenden nach einer menschenwürdigen Unterbringung und einer vernünftigen Gesundheitsversorgung? Unerhört.
Lasst uns aber die Forderungen hören und weitertragen, anstatt Personen in Gruppen einzuteilen, die, die den Schutz wert sind, und die, der das Menschenrecht auf körperliche und seelische Unversehrtheit genommen wird.