Am Samstag, den 31.07. beteiligten sich knapp 60 Menschen bei regnerischem Wetter an der Fahrraddemo gegen Lagerunterbringung von der Ausländerbehörde zur Zentralen Unterbringungseinheit (ZUE). In unserem Redebeitrag zogen wir eine kleine Bilanz anlässlich des dreijährigen Bestehens des Lagers:
Die ZUE ist ein Ort der systematischen Grundrechtsverletzung und des institutionalisierten Rassismus.
Genau seit drei Jahren befindet sie sich nun auf dem Boden der Stadt Münster. Das sind genau drei Jahre zu viel.
Wir möchten in diesem Beitrag die drei Jahre Revue passieren lassen. Jahre, die von einer zunehmenden Verschärfung der rassistischen Praxis geprägt sind und in denen die Rechte der Bewohner*innen weiter geschleift wurden; Jahre, die auch nicht ohne eine Reihe von Skandalen auskommen – es sind Skandale, die 2018 vielleicht noch unmöglich gewesen wären. Drei Jahre ZUE Münster bedeuten eine Normalisierung von Gewalt und von einer Logik der Entmenschlichung in unserer Stadt.
Uns ist es letztlich natürlich egal, wo genau solche Mauern gebaut und Menschen hinter Stacheldraht wegsperrt werden: Jedes Lager gehört abgeschafft. Aber wir werden nicht müde zu betonen, dass die Heuchelei vielleicht nirgendwo so greifbar ist wie in der vermeintlichen „Friedensstadt“. Und deshalb reiht sich Münster – mit seinem schönen Schein nach außen und seiner inhumanen Praxis in den toten Winkeln des Innen – auch so aalglatt ein ins Europa der vermeintlichen Menschenrechte und in ein Deutschland der vermeintlich offenen Grenzen. All diese Projektionen, die mit ihrer großen Geste von Frieden und Freiheit und Demokratie erzählen, blenden systematisch aus, dass sie zuallererst auf einer andauernden Geschichte kolonialer Unterwerfung gründen und Ruinen hinterlassen. Und dabei ist es so, dass die Repression und die Gewalt, die in den toten Winkeln der EU, der Bundesrepublik und der Stadt Münster ausgeübt werden, sich gegenseitig bedingen und stärken. Wie immer gilt also, dass wir die Entwicklung der ZUE notwendig auch im europäischen und im bundesdeutschen Kontext begreifen.
Allein dass Merkel 2015 die Grenzen geöffnet haben soll, ist ein Ausweis dieses eurozentrischen Fetisch der großen Geste, der sich so gern auf die eigene Schulter klopft. Denn der Sommer der Migration war keine milde Gabe, entsprungen der Bürde des Weißen Mannes, sondern ganz im Gegenteil eine hart erkämpfte Selbstermächtigung von Menschen, auf deren Kosten in Europa seit Jahrhunderten Politik gemacht wird. Es dauerte ja auch nicht lang bis zum großen Backlash, erst indem ein wenig mit den Grenzen des Sagbaren gespielt wurde und dann durch rücksichtslose Maßnahmen. Wir müssen daran erinnern: 2015 galten die so genannten „Hotspots“ an den EU-Außengrenzen – die Lager in Griechenland und Italien – noch als menschenunwürdig in ihrer Verelendungs- und Abschiebelogik. Hierzulande wurde in dieser Zeit in gut-deutscher Tradition mit dem Finger auf Andere gezeigt – Viktor Orbán bietet sich ja bis heute immer an –, während kritische deutsche Stimmen aber ganz schnell ganz leise wurden. Wie gesagt: die Normalisierung der Gewalt.
In der Tat wurde in Deutschland ab 2015 eine gigantische Entrechtungsmaschine in Gang gesetzt, diemit mehreren Asylpaketen und Gesetzesverschärfungen die Sanktionen gegenüber Geflüchteten in exorbitante Höhen schraubte. Dies legte das Fundament einer fnhaltenden, fast grenzenlosen Macht deutscher Behörden über Menschen, die das Pech hatten, am falschen Ort geboren zu sein. ProAsyl
spricht hier auch von der Möglichkeit der psychischen Vernichtung.
Die Lösung der Lager und der effizienten Abschiebung wurde 2015 umgehend von den EU-Außengrenzen importiert. Imselben Jahr wurde das neoliberale Konzept des so genannten „integrierten Rückkehrmanagements“ etabliert, und in Nordrhein-Westfalen existiert seit 2017 als Teil davon ein dreistufiges Aufnahme- und Kasernierungssystem, das Schutzsuchende durchlaufen müssen. Die dritte und zermürbendste Stufe bildet die Zentrale Unterbringungseinrichtung, eine Massenunterkunft für 200 bis 2.000 Menschen, wovon es in NRW mehr als 30 Einheiten gibt.
ZUEs sind Lager, die verhindern sollen, dass ihre Insassen in der Stadtgesellschaft Fuß fassen. Sie liegen möglichst außerhalb und dienen der sozialen Isolierung, der stets die geräuschlose Abschiebung folgen soll. Anwaltliche Unterstützung und Verfahrensberatung werden dabei strukturell behindert, das Recht auf Asyl methodisch untergraben, während der Stacheldraht die Menschen stigmatisiert, sie in bürgerlicher Tradition als deviant oder kriminell markiert.
Das Bündnis gegen Abschiebungen hat die Errichtung der lokalen ZUE von Beginn an kritisch begleitet. Als wir im Juli 2018 die eröffnende Informationsveranstaltung besuchten, wurde dabei nicht nur die ganze Palette der Entrechtung präsentiert, sondern auch das vergiftete Lächeln, hinter dem die Verantwortlichen sie verstecken. Durchgesetzt, so lernten wir, wurden alle Verordnungen aus den Verschärfungspaketen – wie Residenzpflicht, Beschäftigungsverbot, Sachleistungsprinzip, Aussetzen des Schulrechts, Aufenthaltserweiterung auf bis zu 24 Monate, fehlende psycho-soziale Betreuung –, die zahlreiche Grundrechte beschneiden. Daneben griffen hier auch immer wieder flexibel gestaltbare Maßregeln, die die Menschen brechen sollen, etwa Zimmerkontrollen, Polizeipatrouillen, Videoüberwachung, nächtliches Flutlicht. Das W-LAN als Kontakt zur Außenwelt wurde von Anfang an rationiert und teils komplett versagt. Wacht- und Leitungspersonal durfte und darf also autoritär über andere Menschen gebieten – und dies auch noch als gönnerhaft verkaufen. In besagter Eröffnungsveranstaltung wurde die – und das ist ein O-Ton – „kultursensible Küche“ gepriesen. Verschwiegen wurde, dass Verspätung beim reglementierten Kantinengang zum Ausschluss der Mahlzeit führt; Kochen auf den eigenen Zimmern ist strikt untersagt. Gepriesen wurde auch, dass die Bewohner*innen sich zusätzlich zum demütigenden „Taschengeld“ – das unter dem in Deutschland geltenden Existenzminimum liegt – etwas dazu verdienen dürfen. Verschwiegen wurde, wie dies über den lagerinternen Sonder-Arbeitsmarkt passiert und die Menschen für 80-Cent-Jobs die Gärtnerei- oder Wäsche-Jobs erledigen, die sonst brach liegen. Verbürgt ist ferner, dass ein Mitgliedder Leitungsebene sich mit Eröffnung der ZUE die Bitte um medizinische Betreuung für Traumapatient*innen verbat. Begründung: Die Menschen dürften nicht – Zitat – in ihren Ansprüchen „getriggert“ werden. In diesem Lager herrscht eine zutiefst repressive Struktur von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen, die nichts anderes nötig macht als seine sofortige, gänzliche Abschaffung.
2019 war das Jahr der Schande des Horst Seehofer. Hatte er sich zuvor noch öffentlich über das Geburtstaggeschenk von der tödlichen Abschiebung dutzender Afghan*innen gefreut, verabschiedete er sodann – mit freundlicher Genehmigung von SPD und Grünen Landesregierungen – das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“. Besser bekannt als „Hau-Ab-Gesetz“, erlässt dieses nicht nur drakonische neue Inhaftierungsmöglichkeiten und weitere Zuwendungskürzungen gegenüber nicht-EU-Bürger*innen – bis hin zur völligen Verrohung, die im Prinzip des so genannten „Aushungerns“ gipfelt –, sondern bedroht durch erfundene Straftatbestände auch unverhohlen die solidarische Zivilgesellschaft. Die rassistische Diskursverschiebung, der damit Tür und Tor geöffnet war, spiegelte sich in Münster durch eine Reihe unsäglicher Abschiebungen, in denen die hiesigen Ausländerbehörden jedes Maß verloren – wir erinnern nur an das eine Schicksal der fünfköpfigen Familie aus Iran, die wir damals begleiteten, und die in der Nacht vor Duldungsverlängerung abgeholt und in die Obdachlosigkeit überstellt wurde, all das in Hinwegsetzung über fachärztliche Gutachten wegen traumabedingter Reiseunfähigkeit. In der ZUE kam es auch zu einem Fall, der bundesweit Schlagzeilen machte, als nämlich die Behörde die nächtliche Abschiebung einer suizidalen, panischen Frau mit aller Brutalität durchsetzen wollte. Ihre verängstigte Tochter versuchte damals, der Mutter zur Seite zu stehen, woraufhin das Zimmer teils demoliert und die Tochter physisch und seelisch so stark verletzt wurde, dass das herbeizitierte Feuerwehr-Räumkommando den Abschiebeversuch abbrach. Das zuständige Amt verlautete im Anschluss, man behalte sich vor, die in die psychiatrische Klinik verbrachte Mutter auch von dort heraus rückzuführen.
„Friedensstadt?“, fragten wir damals – „Abschiebestadt!“ Mit Corona setze 2020 eine abermalige Verschlechterung der ZUE-Zustände ein. Viel haben wir in den letzten Monaten über das so genannte „Hygienekonzept“ gehört, das das Papier nicht wert ist, auf dem es steht. Fast könnte es ein Rätsel bleiben, wie es den Verantwortlichen im Winter sogar gelang, die Erweiterung der Lager-Kapazitäten als gesellschaftlichen Erfolg zu verkaufen – und doch ist es am Ende wieder nur der alte Zynismus, wenn begründet wird, dass damit schließlich die deutschen Kommunen in einer so gefährlichen Zeit entlastet würden.Im Jahr 2021 gibt es keine Anzeichen für Einsicht von oben. Im Gegenteil, die Reihe der Verfehlungen setzte sich im Frühjahr im Lichte einer investigativen Zeitungsrecherche fort, während der sich Bewohner*innen anonym zum vorherrschenden „Klima der Angst“ äußerten. Abschätzige Ansprachen durch das Personal, willkürliches Eindringen in die Privatsphäre, intime Übergriffe, Schikane im medizinischen Bereich oder kollektives Straffrieren im Schlafanzug als so genannte pädagogische Maßnahme – die Bezirksregierung streitet all das freilich ab. Es dürfte aber als klares Eingeständnis durchgehen, dass sie seit nunmehr einem halben Jahr und nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Vorwürfe die unabhängige Beschwerdestelle einfach unbesetzt lässt.
Die jüngste Volte der ZUE-Leitung ist der absurd anmutende Versuch, die Zeit zu bemessen, in der einzelne Bewohner*innen sich nicht im Lager befinden, und ihren Aufenthalt um ebenjene Zeit wieder zu verlängern. Aber wenn sich dabei offenbar niemand zu blöd vorkommt, rassistische Praktiken auf Biegen und Brechen gesetzlich zu legitimieren versuchen, dann bauen wir an bedingungsloser Solidarität von unten. Gegen die breitere autoritäre Formierung gehen wir schon nächste Woche wieder auf die Straße, wenn wir am Samstag ab 14 Uhr mit der Seebrücke am Hafenplatz gegen die tödliche EU-Politik auf dem Mittelmeer demonstrieren. Konkrete Menschenrechtsverteidigung praktizieren wir, indem wir in unserer Stadt Bürger*innenasyle organisieren und damit Personen privat aufnehmen und unterstützen, die vor einer Abschiebung stehen. Die Aktion Bürger*innenasyl Münster ist heute auch zugegen – bitte sprecht uns an und solidarisiert Euch mit dieser wichtigen Arbeit! Denn angesichts von drei Jahren menschenverachtender ZUE in Münster sind Widerstand und Überzeugung für uns nur bestärkt worden – es bleibt dabei: Kein Mensch ist illegal! Alle Lager brechen und jede Abschiebung verhindern!