Am 27.11. nahmen ca. 80 Personen an den Kundgebungen und der Fahrraddemo für die Aufnahme der Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze und gegen die Lagerunterbringung teil. Im Folgenden könnt ihr unseren Redebeitrag über die aktuelle Situation in der ZUE in Münster nachlesen:
Ich bin vom Bündnis gegen Abschiebeungen hier in Münster und wir setzen uns schon lange kritisch mit Lagern auseinander. So sind wir von Anfang an mit dabei gewesen, auf die miserablen Zustände hier im Lager, in der ZUE Münster, aufmerksam zu machen. Das ist aus unserer Sicht wichtig: Denn hier wird die Migrationspolitik der EU praktisch. Hier können wir konkret vor Augen geführt bekommen, wie die europäische Abschottung an den Grenzen und im Innern, so wie hier, funktioniert.
Wir haben es schon so oft gesagt und sagen jetzt nochmal in aller Deutlichkeit:
Der Lagerkomplex ist eine politische Strategie der Migrationskrontrolle. Es geht bewusst um Isolation und Entrechtung von Geflüchteten, wie die Streichung von Grundrechten auf den Zugang zu Bildung, umfassender medizinischer Versorgung, rechtlicher Beratung, notgedrungener Erwerbsarbeit, Privatsphäre etc..
Mit den Lagern geht es aber vor allem auch um die Errichtung eines effizienteren Abschieberegimes.
Deswegen sind in NRW aber auch in anderen Bundsländern Lager zu einem zentralen Baustein der Landespolitik geworden. Ein Staat, der Lager einrichtet, um Menschen systematisch zu entrechten, hat sich schon lange delegitimiert. Deshalb gehört nicht nur seine Praxis, sondern er selbst angegriffen!
Und was heißt das konkret für die Menschen, die gezwungen sind, hier in der ZUE Münster zu leben?
Wir möchten einige Beispiele aufgreifen, die die Zustände hier greifbarer machen:
Die Bewohner*innenanzahl ist in den letzten Wochen massiv gestiegen, im Moment wohnen hier weit über 400 Personen. Dies bedeutet in verschiedenen Bereichen mehr Stress und Chaos für die Personen mit Wohnverpflichtung in der ZUE:
Die Zimmer werden dadurch wieder voll belegt. Das bedeutet: weniger Privatsphäre, höhere Ansteckungsgefahr, schlechterer Schlaf, weniger Platz.
Und im Lger kommt es durch die hohe Anzahl an Bewohner*innen immer wieder zu langwierigen Wartesituationen: Nach der Aussage einiger Personen kam es zu Wartezeiten bis zu 6 Stunden in der Kälte, um das Geld für die kommenden 2 Wochen abzuholen. Dicht an dicht zwischen einer Abzäunung und ohne entsprechenden Abstand für Stunden warten - für viele Personen ist das eine massive Stresssituation. Können sie dieses Warten vermeiden? Leider nicht, denn sonst wird das Geld auch aufgrund von kurzen Verspätungen von wenigen Minuten nach der Schließung einfach nicht mehr ausgezahlt. Pech.
In der ZUE warten auch wieder viele Personen auf ihre Erstimpfung - zeitweise waren es 60 Personen - während es in Deutschland genug Impfstoff gibt und Drittimpfungen begonnen haben.
Es gibt auch immer wieder Schwierigkeiten, Termine bei Fachärzt*innen bezahlt zu bekommen. Ein Beispiel: ein Patient hat einen Arztbericht bekommen, wonach es wichtig sei, alle 6 Wochen zur Kontrolle zu kommen. Der Folgetermin nach 6 Wochen wurde mit der Begründung abgelehnt, dass der Patient ja gerade erst dort gewesen sei. Hammer hart also.
Beim Betreten und Verlassen des Geländes muss bei der Security mit der "Bewohnerkarte" ein- und ausgecheckt werden. Obwohl auf der Karte neben dem Namen auch ein Foto elektronisch hinterlegt ist, müssen die Bewohner*innen zusätzlich ein Ausweisdokument vorzeigen - warum? Außerdem werden bei Betreten Taschen und Rucksäcke durchsucht. Allerdings nur bei Bewohner*innen, nicht von Mitarbeiter*innen. Also alles reine Schikane.
Alle Bewohner*innen bekommen übrigens eine "ZUE Nummer"...Das muss man nicht weiter kommentieren.
Viele Bewohner*innen leiden auch unter Schlafproblemen. Hilfreich wäre für die eine oder den anderen vielleicht ein Tee oder eine Wärmflasche - geht aber nicht, weil Wasserkocher ebenso wie Fön, Kochplatte oder andere elektrische Geräte auf den Zimmern verboten sind.
Es gibt auch immer wieder Beschwerden von Bewohner*innen, dass das Essen in der Kantine nicht schmeckt. Ohne die Möglichkeit selbst zu kochen und mit nur 146€ im Monat in der Tasche, bleibt den Menschen aber nichts anderes übrig, als zu essen, was "auf den Tisch kommt". Oder eben gar nicht zu essen. Das machen gerade Kinder oft: sie essen lieber nichts als etwas, was sie eklig finden. Aber auch Erwachsene berichten davon, dass sie nicht mehr als eine Mahlzeit vor Ort einnehmen. Natürlich können sich alle im Supermarkt zu Essen kaufen was sie wollen, das Geld fürs Kantinenessen wird aber natürlich trotzdem pauschal abgezogen. So geben Menschen, deren Einkommen weit unter dem Existenzminimum ist, auch noch doppelt Geld für's Essen aus.
Und was gibt es so zu essen? Käsespätzle, Hühnerfrikassee, Seelachsfilet mit Senfsoße, Gemüseschnitzel mit Rahmsoße... nur um ein paar Beispiele zu nennen. Alles Mahlzeiten, die nicht ungebidngt allen schmecken.
Wie läuft es ab, wenn Bewohner*innen endlich nach Monaten die ZUE verlassen können, um anderweitig untergebracht zu werden? Sie erfahren grundsätzlich erst am Tag ihrer Abreise, in welche Kommune sie zugewiesen wurden, auch wenn das aus organisatorischen Gründen natürlich weitaus früher bekannt ist. So soll verhindert werden, dass sie sich beschweren. Die Behörden schützen sich vor zusätzlicher Arbeit, indem sie Menschen grundlegende Informationen über ihr Leben vorenthalten.
All diese Beispiele zeigen: Es geht in Lagern im Disziplinierung und Management von Menschen mit Nummern. Nun könnte man meinen, dass das viele Leute auf die Palme bringt.
Der Ausbau von Lagern, Abschiebehaft - bald gibt es ein weiteres Abschiebegefängnis in Düsseldorf in der Nähe zum Flughafen - und die Beschleunigung der Abschiebungen durch die 5 zentralen Ausländerbehörden gehen leider einher damit: gesellschaftlich ist diese Entrechtungspolitik gegen Geflüchtete nicht im öffentlichen Bewusstsein. Es gibt keine Protestkonjunktur hierzu. Vielmehr wird es immmer schwerer diese einzelnen Aspekte des Abschottungs-und Abschiebungsregimes in einen Gesamtzusammenhang der kapitalistischen EU zu stellen. Das ist also unsere Aufgabe. Deshalb sind wir heute hier. Deswegen tragen wir unseren Protest auf die Straße! Deswegen organisieren wir Bürgerinnenasyle, um illegalisierte Menschen zu schützen! Deswegen sind wir laut!
Grenzen öffnen, Lager schließen, Abschiebungen stoppen, Bewegungsfreiheit für alle durchsetzen!